Gymnasium Oberstufe

Rückkehr zu G9 mit Haken und Ösen

Die schwarz-gelbe Landesregierung hat die Rückkehr zum Abitur in neun gymnasialen Jahren (G9) beschlossen. In meinen Augen eine gute Entscheidung. Der Wechsel von G9 zu G8 hatte weiland zu einigen Problemen geführt, unter anderem den Doppel-Abiturjahrgang in 2013. Wie wird sich die Rückkehr zu G9 auswirken?

Der Koalitionsvertrag von CDU und FDP sieht vor, dass die Rückkehr zu G9 ab dem Schuljahr 2019/2020 beginnt, und zwar mit der fünften und sechsten Klasse. Ich habe das etwas visualisiert, um verständlicher zu machen, was uns in den nächsten Jahren erwartet.
(Nein, das ist nicht schief… optische Täuschung, und so. 😉 )

Wechsel von G8 nach G9 in NRW (CC BY-SA 4.0: Navelbrush, Piraten Aachen)

Der Einfachheit halber gehe ich von einem Gymnasium aus, das sich einheitlich für die Rückkehr zu G9 entschieden hat. Die Schülerzahl habe ich konstant mit 100 SuS pro Jahrgang angenommen, keine Ab- oder Aufschulungen, keine Abgänge nach der SEK I, keine Ehrenrunden.
Die beiden ersten G9-Jahrgänge (5. und 6. Klasse in 2019/2020) habe ich rot markiert. Davor ist alles G8, danach ist alles G9. Bemerkenswerte Zeitpunkte sind rot hinterlegt und mit Ziffern versehen. Die Erläuterung zu den Ziffern findet Ihr im Text.

Schuljahr 2018/2019

Der Übergang von der Grundschule in Klasse 5 erfolgt noch als G8. In diesem Jahr sind damit zum letzten Mal alle Jahrgänge dieses Gymnasiums im G8.

Schuljahr 2019/2020

Der Übergang von der Grundschule nach Klasse 5 erfolgt erstmalig als G9. Zusätzlich wechselt Jahrgang 6 im laufenden Betrieb von G8 nach G9 (Ziffer 1 in der Grafik).
Das bedeutet schlimmstenfalls für die SuS im Jahrgang 6, dass sie im letzten Jahr nach einem alten G8-Lehrplan unterrichtet wurden. Es bleibt zu hoffen, dass der neue G9-Lehrplan für Jahrgang 6 starke Bezüge zum G8-Lehrplan der 5. Klasse besitzt. Ansonsten fangen die Kiddies in der 6. Klasse von Null an. Die Kinder, die bereits mit G9 in die 5. Klasse kommen, haben dieses Problem nicht.
Warum dieser Reibungsverlust sein muss, erschließt sich mir nicht. Vielleicht klärt mich jemand auf?

Schuljahr 2020/2021 bis 2022/2023

In den folgenden Schuljahren rutschen die SuS durch die Jahrgänge. Und jedes Jahr verlässt ein G8-Abiturjahrgang das Gymnasium. Im Schuljahr 2022/2023 wechseln zum letzten Mal die SuS von der 9. Klasse G8 in der SEK I in die 10. Klasse der SEK II G8.

Schuljahr 2023/2024

In diesem Schuljahr wird es interessant: Die SuS, die von der 9. in die 10. Klasse wechseln, verbleiben in der SEK I (Ziffer 2 in der Grafik). In diesem Jahr wird es keine Einführungsphase (11. Klasse G9) geben. Die SuS, die jetzt in der 11. Klasse sind, befinden sich im ersten Jahr ihrer Qualifikationsphase (11. Klasse G8).
Die Oberstufe hat in diesem Jahr also einen Jahrgang weniger (in diesem Fall: 100 Jugendliche).
Ein Problem, das ich noch nicht abschätzen kann und das auch erst bei einem Gespräch mit den Schulleitungen der Aachener weiterführenden Schulen auftauchte: Was passiert mit den Realschülern, die in eine Oberstufe wechseln möchten, um das Abitur zu machen? Die Aachener Gymnasien können diese Kinder vermutlich nicht aufnehmen. Ist es möglich, an die Oberstufe einer Gesamtschule zu wechseln? Haben die Berufskollegs Kapazitäten?

Schuljahr 2024/2025

Der erste G9-Jahrgang wechselt in Einführungsphase der SEK II (11. Klasse G9). In der 12. Klasse G8 befindet sich der letzte G8-Jahrgang des Gymnasiums.

Schuljahr 2025/2026

Das Gymnasium hat keinen G8-Jahrgang mehr. Der letzte G8-Jahrgang hat mit dem Abitur im letzten Schuljahr die Schule verlassen.
Es gibt an diesem Gymnasium keinen Abiturjahrgang in diesem Jahr!

Schuljahr 2026/2027

Der erste G9-Jahrgang wechselt in das zweite Jahr der Qualifikationsphase (13. Klasse G9). Die Oberstufe hat damit wieder eine Stärke von drei Jahrgängen (Ziffer 3 in der Grafik).
Gleichzeitig startet eine weitere Klasse 5 mit G9 (Ziffer 4 in der Grafik). Die Schule muss jetzt also einen kompletten zusätzlichen Jahrgang an SuS unterbringen!
Da die Gymnasien eh schon bis zur Leistungsfähigkeit ausgelastet sind, wird dieses Schuljahr für die kommunalen Träger als die Verantwortlichen für Räume und Infrastruktur zur Herausforderung (bzw. bereits die Vorjahre für die erforderlichen Planungen und Finanzierungen).

Zusammenfassung

  • Wir haben acht Jahre Zeit, bis uns die Raumnot an den Gymnasien vor die Füße fällt. Bis dahin wird es aber auch noch mindestens eine weitere Landtagswahl geben…
  • Im Schuljahr 2017/2018 gab es an den Aachener Gymnasien 858 Jugendliche in der 5. Klasse. Da ich damit rechne, dass die Schülerzahlen sich in den nächsten Jahren erhöhen, kann es durchaus sein, dass wir dann in 2026/2027 gut 1000 Schülerinnen und Schüler zusätzlich an den Aachener Gymnasien unterbringen müssen… wenn wir nicht vorher die Aachener Schullandschaft entsprechend zukunftssicher entwickeln. Schulen bauen sich aber nicht von alleine und schon mal gar nicht spontan. Wir müssen uns rechtzeitig eine Strategie überlegen, die über Legislaturperioden hinausreicht..
  • Im Jahr 2026 wird es weniger Abiturienten geben (abgesehen von denen, die das Abi an einer Gesamtschule, einem G8-Gymnasium oder einem Berufskolleg machen). Was bedeutet das für Studium, Ausbildung, freiwillige Dienste?
  • Wie sorgen wir dafür, dass die SuS der 6. Klasse den Wechsel von G8 auf G9 ohne große Reibungsverluste schaffen? Müssen diese Kinder sich in der 5. Klasse extra noch neue Bücher anschaffen, die im Anschluss auf alle Fälle veraltet in die Tonne fliegen? Oder können Schulen/Fördervereine/Schulpflegschaften/Büchereien Bücherflohmärkte organisieren?
  • Die drei Jahre 2023-2026, in denen die Oberstufen etwas entspannter sind, sollten nicht darüber hinwegtäuschen, dass schon ein Jahr später der Laden mehr als brummt.
  • Ich hoffe, dass die Rückkehr zu G9 handwerklich besser abläuft als damals der Wechsel zu G8. Allerdings kenne ich mittlerweile meine Pappenheimer… man könnte sagen: Ich bin verzweifelt optimistisch.
  • Falls ich bei meinen Ausführungen irgend etwas vergessen oder falsch verstanden haben sollte, bitte Korrekturen in die Kommentare.

Zurück zu G9!

Ich bin nach wie vor ein Verfechter der Rückkehr zu G9. Das Turbo-Abi war in meinen Augen ein teures, demotivierendes, gesundheitsschädliches und sozial unverträgliches Experiment auf dem Rücken der Jugendlichen, der Pädagogen und der Eltern. Wenn Kinder ihre Hobbys drangeben, damit sie im Unterricht nicht den Anschluss verlieren, und wenn 14-Jährige erste Anzeichen von Burn-Out zeigen, dann läuft da grundlegend etwas falsch.
Die Abkehr vom Turbo-Abi ist ein wichtiger Schritt für die Bildungslandschaft in NRW.
Gleichwohl bin ich davon überzeugt, das die schwarz-gelbe NRW-Regierung auch weiterhin ohne Not einen hohen Leistungsdruck an die Schulen in NRW pumpen wird. Stichwort hier: Evidenzbasierte Pädagogik. Aber dazu schreibe ich auch noch mal etwas.