Landespolitik Ökonomisierung

Schulrankings, Qualitätsanalysen, Unterrichtsausfall

So langsam kommt die neue schwarz-gelbe NRW-Regierung auf Drehzahl. Und legt vor.

Schulrankings

Die neue NRW-Bildungsministerin, Frau Gebauer (FDP), ließ in einem Interview mit der Rheinischen Post verlauten, sie könne sich gut mit “Schulrankings” anfreunden, also dem Wettbewerb der Schulen untereinander. Fortan könnten sich Schulen anhand von was auch immer (ich vermute Noten, Abschlüssen oder eingeworbenen Fördermitteln im Sinne einer geplanten Finanzautonomie) miteinander vergleichen bzw. zu übertrumpfen versuchen.
Es ist vielleicht nicht jedem klar: Bildung ist kein Wettbewerb, sondern Voraussetzung für einen förderlichen und sinnstiftenden Lebensweg. Deshalb sollten die Rahmenbedingungen so gesetzt sein, dass jeder Mensch sich bedingungslos entsprechend seiner Möglichkeiten und Interessen entwickeln kann. Die Metapher von “Wurzeln und Flügeln” passt hier hervorragend, aber auch das Bild mit den Kisten: Nicht jedem seine Kiste, sondern jedem soviel Kisten, wir er braucht!
Wettbewerb degradiert Bildung zu einem grotesken Werkzeug, um fragwürdige Vergleichswerte zu erreichen bzw. zu übertreffen und bei irgendwelchen Rankings obere Plätze zu erzielen. Und für ein besseres Ranking schraubt man dann auch gerne mal die Ansprüche herunter.
Ich lehne Schulrankings kategorisch ab.

Qualitätsanalysen und Zielvereinbarungen

Im Zeitungsartikel angesprochen, aber auch im Koalitionsvertrag auf Seite 9 zu lesen:

Um qualitativ hochwertigen Unterricht für Lehrkräfte zu ermöglichen, müssen auch die Instrumente zur Unterstützung der Qualitätsentwicklung weiterentwickelt werden. Wir werden die Aufgabenstellung des Landesinstituts für Schule „QUA-LiS“ überprüfen. Es wird eine „Clearingstelle“ für evidenzbasierte Pädagogik geschaffen.
Um mehr Transparenz zu schaffen, werden die Qualitätsberichte und Zielvereinbarungen zukünftig durch die Schulen im Internet veröffentlicht.

Wer nicht weiß, wohin er segeln will, für den ist kein Wind der richtige. Man sollte sich schon darüber im Klaren sein, wo man steht, wohin man sich entwickeln will und wie man da hinkommen möchte. Das kann man praktikabel, ehrlich und zielführend machen, oder man macht Zielvereinbarungen.
Wer einmal in einem Unternehmen damit arbeiten musste, der weiß, dass Zielvereinbarungen eine unfassbare Verschwendung von Zeit, Geld und Motivation sind. Das gleiche gilt für Qualitätsmanagementsysteme, die den Mitarbeitern in 99,9% der Fälle aufgezwungen sind. Auditoren, die auf einer satzzeichengenauen Umsetzung der bürokratisierten Regelwerke bestehen, erledigen mit ihrer Pedanterie den homöopathischen Rest einer Mitarbeitermotivation.
Ja, ganz sicher sollte man die Qualität seiner Arbeit im Auge haben. Es darf aber nicht dazu führen, dass darunter das Tagesgeschäft leidet. Eine Veröffentlichung der Qualitätsberichte könnte unter strengen Auflagen noch angehen, aber “Zielvereinbarungen” haben im Internet nichts zu suchen. Letztendlich geht es der Regierungskoalition auch hier wieder nur um die Vergleichbarkeit von Schulen. Die unsichtbare Hand des Marktes wird dann die Schülerzahlen schon richten.
Wer übrigens wie ich mit “evidenzbasierter Pädagogik” zunächst nichts anfangen kann: In der “evidenzbasierten Medizin” geht es darum, nur die Medikamente und Behandlungsmaßnahmen zuzulassen, die ihre Wirksamkeit in der (aufwändigen und teuren) Forschung bewiesen haben. Ich frage mich gerade, wie eine Pädagogik beweisen kann, dass sie funktioniert? Mit Beipackzetteln? “In nur einem von hundert Fällen führte dieser Physikunterricht zum Sitzenbleiben”… bei dieser wirtschaftsliberalen Regierung, fürchte ich, wird das nicht lange ein flappsiges Beispiel bleiben.
Ja, diese überdrehte Qualitätsentwicklung gehört auf den Prüfstand. Die im Koalitionsvertrag angekündigten Schulverwaltungsassistenten befürworte ich, wobei die Finanzierung vermutlich an den Kommunen hängenbleiben wird und diese Ankündigung damit mangels Finanzierung ins Leere laufen dürfte.

Statistiken über Unterrichtsausfall

Ein Reizthema schon zu rot-grünen Zeiten: Der Unterrichtsausfall. Zum Ende hin wollte Frau Löhrmann dann auch wieder regelmäßiger Statistiken führen. Da war sie aber zu langsam.
Schwarz-gelb möchte das laut Koalitionsvertrag fortsetzen (Seite 8):

Ausgangspunkt der Bekämpfung des Unterrichtsausfalls kann nur eine genaue Erfassung sein. Zum nächstmöglichen Zeitpunkt werden wir eine digitale und schulscharfe
Erfassung des Unterrichtsausfalls einführen. Hierfür werden wir eine transparente Definition von Unterrichtsausfall festlegen.

Das halte ich für gut, wobei ich die Statistik sicherlich nicht “schulscharf” veröffentlichen würde. Ansonsten wäre es natürlich auch wieder fein für ein Schulranking.
Allerdings bin ich auf die “transparente Definition von Unterrichtsausfall” gespannt… ich bediene jetzt mal das piratige Nerd-Image mit einem digitalen Blick über den Tellerrand:
Es gibt das Konzept des “flipped classroom“: Die Jugendlichen bereiten den Unterricht zu Hause anhand von Materialien im Netz vor (Blogs, Videos etc.). Im Unterricht klärt der Lehrer die offenen Fragen und gibt weitere Denkanstösse. Wenn das sauber durchorganisiert ist, kann er das entweder auch online von zu Hause aus (Video-Chat), oder die Jugendlichen machen das unter sich aus. Gilt das dann als Unterrichtsausfall, wenn sie nicht im Klassenraum sitzen? Und was sagt die “evidenzbasierte Pädagogik” zum umgedrehten Klassenraum?
Damit das alles so klappen könnte, sollte es u.a. viel mehr OER-Material an den Schulen geben, zusätzlich zu einer modernen Medienausstattung natürlich. OER taucht allerdings im gesamten Koalitionsvertrag nur einmal auf: “Moers”… für OER gibt es leider keinen Return-of-Investment.
Bildungspolitisch stehen uns jetzt fünf leidvolle Jahre ins Haus, in denen wir gegen eine verschärfte Ökonomisierung der Bildung ankämpfen müssen. Aber beschwert Euch nicht bei mir. Ich habe Piraten gewählt.