Integration Soziales

Warum ich gegen die Unterbringung von Flüchtlingen in Containern bin

Dieser Auslandseinsatz der Bundesmarine Anfang Juni 2015 hat sich endlich einmal gelohnt: Die Fregatte Hessen und der Einsatzgruppenversorger (EGV) Berlin patroullieren im Mittelmeer, um afrikanische Flüchtlinge aus Seenot zu retten. Anfang Juni retteten sie etwa 20 Seemeilen vor Libyen über 1400 Menschen vor dem Ertrinken. Das macht lt. Pressemeldung in Summe über 3400 Menschen, die die Marine bisher aus dem Wasser gezogen oder von den Seelenverkäufern geholt hat. Und die politische und wirtschaftliche Großwetterlage lässt nicht erwarten, dass sich die Situation der Flüchtlinge in naher Zukunft derart ändert, dass sie lieber in ihren Heimatländer bleiben wollen. Eher im Gegenteil. Wohin also mit den Flüchtlingen?

Die Kommunen sehen sich am Limit, was die drängende Unterbringung von Flüchtlingen angeht; sowohl finanziell als auch wohnraumtechnisch. Da liegt es nahe, sich für Wohncontainer zu entscheiden: Schnell besorgt. Schnell aufgestellt. Flüchtlinge rein. Fertig.
Die Verwaltung der Stadt Aachen gibt sich zumindest zuversichtlich, dass Wohncontainer (oder euphemistisch “Wohnmodule”) nur die letzte aller Möglichkeiten und auch nur für einen begrenzten Zeitraum darstellen.
Lobenswert ist, dass die Stadt sich 2008 im Rahmen der Aachener “Save me”-Kampagne zur fürsorglichen Aufnahme von Flüchtlingen bekannt hat:

Wir wollen uns als Kommune ausdrücklich dazu bekennen, Flüchtlinge bei uns aufzunehmen und unseren Teil dazu beizutragen, dass Schutzbedürftige, die sich in ausweglosen Situationen befinden, eine neue Heimat finden und eine Lebensperspektive erhalten. Platz genug ist da: Die Flüchtlingszahlen sind in Deutschland so niedrig wie seit 30 Jahren nicht mehr. In Zeiten durchgreifender Abschottung an den Grenzen Europas und bei weltweit konstant hohen Flüchtlingszahlen steht auch Deutschland in der Verantwortung. Durch den obigen Beschluss will unsere Stadt ihren Teil zu einer verantwortungsvollen und menschlichen Flüchtlingspolitik beitragen.
Ratsantrag “Save me” – Aachen sagt Ja zur Aufnahme von Flüchtlingen, 19.11.2008

Hehre Worte in Zeiten mit überschaubaren Flüchtlingszahlen (Asylanträge in Deutschland im Jahr 2008: 28.018). Dieser hohe Anspruch muss sich nun bewähren, wenn für 2015 bereits bis Mai in Deutschland fast 142.000 Asylanträge eingegangen sind.
Ich spreche der Aachener Verwaltung und Politik explizit nicht ab, dass sie sich nach wie vor um die Flüchtlinge sorgen und ihnen die bestmögliche Unterbringung zukommen lassen möchten. Nur leider kann und wird sich diese Haltung angesichts drückender Sach- und Finanzzwänge kaum mehrheitsfähig durchsetzen.

Plötzlich und unerwartet

Seit Ende 2010 beschäftigen sich die Aachener Ausschüsse mit der Aufnahme und Behandlung von Flüchtlingen (siehe hier und hier). Die Stadt war kreativ bei der Wohnraumbeschaffung. Containerlösungen waren nie darunter. Zumindest nicht offiziell.
Davon sprach sie erstmalig in 2013. Und danach nicht wieder. Noch Ende 2014 war man in einem Pressegespräch zuversichtlich, nicht auf Container oder gar Zelte zurückgreifen zu müssen; das war, als man die Turnhalle in der Barbarastraße zur Unterbringung herrichtete. Im Mai 2015 gab es plötzlich Gerangel um einen überteuerten Stellplatz für 44 Wohncontainer in Haaren. Die Verwaltung legte vor, die Politik schnappatmete zurück, das Projekt war gestorben.
Und schon einen Monat später stimmten fast alle Rats-Parteien (mit Ausnahme der Piraten) der Unterbringung von Flüchtlingen in über 160 Wohncontainern zu. Das ging erstaunlich fix.

Unterbringung in Containern

Dass die Preise für Wohncontainer in den letzten Wochen und Monaten gestiegen sind, weil – natürlich – Geschäftemacher auf Angebot und Nachfrage reagieren und die Not der Kommunen ausnutzen… quam jucit. Ist halt so, und die wenigsten Menschen können sich davon freisprechen, dass sie es nicht auch genau so machen würden, böte sich ihnen diese Gelegenheit der Gewinnmaximierung. Will man unbedingt Container einsetzen, muss man den Preis dafür zahlen. Termine, Kosten, Qualität, Verfügbarkeit… Ressourcenmanagement-Grundkurs, erste Stunde. Aber die Kosten sind auch nicht das entscheidende Thema.
Sicherlich kann man kurzfristig in einem Container wohnen. Das machen auch deutsche Soldaten in Auslandseinsätzen (für entsprechenden Extrasold), Feriengäste an der Nordseeküste (in Urlaubslaune) und Bauarbeiter auf Großbaustellen (bezahlt und täglich herausgefordert). Niemand von denen ist aber dazu verdonnert, nach teils tausenden Kilometern Flucht vor Tod oder Folter und schweren Misshandlungen in den Transitländern zum Nichtstun verdammt ohne Aufgabe oder Perspektive zusammen mit wildfremden, ebenfalls traumatisierten Menschen in 10 Jahre alten, durchgenudelten Wohncontainer-Lagern zu sitzen.
Schon feste Räume mit hoher Fluktuation zeigen nach kurzer Zeit starke Abnutzungserscheinungen. Wer mag, darf im Haushaltsplan 2015 einmal nach den jährlichen Kosten für “Herrichtung Übergangswohnheime” suchen. Ein Wohncontainer (beschichtete Holzvertäfelung im Wellblechgehäuse) stellt einer vergleichbaren Beanspruchung wohl kaum mehrjährigen Widerstand entgegen. Vergleichsweise glücklich dürften die Flüchtlinge sein, die in den ersten ein bis zwei Jahren darin “wohnen”… eine Anschlussverwendung nach 10 Jahren, selbst als “Studentenbude”, ist meiner Meinung nach kaum mehr als ein Hirngespinst.
Und wenn schon nach nicht einmal einem Monat der Widerstand gegen eine Container-Lösung gebrochen ist, was kommt dann als nächstes? Statt maximal 50 Menschen an einem Ort gerne auch 100, 200 oder 500 Menschen? Und dann vielleicht eher draußen auf der grünen Wiese? Die Stadt Linnich hat dieser Tage beschlossen, die Flüchtlinge in Zelten unterzubringen. Da ist also je nach Leidensdruck noch Luft nach unten. Mit der Zustimmung zur Unterbringung in Containern, trotz der von den Befürwortern vorgebrachten “Bauchschmerzen”, ist eine Grenze überschritten. Alles weitere wird dann nur noch ein kleines Ziepen in der Magengegend hervorrufen. Wenn überhaupt.
Aus diesen Gründen bin ich gegen die Unterbringung von Flüchtlingen in Wohncontainern. Es wird nicht kurzfristig sein. Es wird nicht nachhaltig sein. Und es wird die weiter zunehmende Unterbringungsproblematik von Flüchtlingen nicht mildern.

Das echte Problem

Der Aachener Wohnungsmarkt ist im bezahlbaren Bereich leergefegt. Entsprechend sind hauptsächlich hochpreisige Wohnungen verfügbar, und die Preise steigen weiter (Angebot und Nachfrage… wissenschon).
Es suchen aber keineswegs nur die Flüchtlinge Wohnraum. Es sind dies ebenso Studenten, Azubis, Familien, Singles oder Senioren. Menschen, die nach Aachen kommen, um hier zu arbeiten (Campus-Stadtteile… da war doch was) oder ihren Lebensabend hier verbringen wollen. Oder die in den Nachbarkommunen arbeiten und einfach hier wohnen wollen. Soll ja vorkommen.
Im Wintersemester 2014/15 studieren in Aachen an der RWTH und an der FH zusammen etwa 2600 Studierende mehr als im letzten Jahr. Und der anhaltende Akademisierungstrend lässt vermuten, dass es auch in den kommenden Jahren nicht weniger werden. Mit den Campus-Projekten versprechen sich Verwaltung und RWTH darüber hinaus in den nächsten Jahren 10.000 neue Arbeitsplätze.
Bis Ende 2016 Raum für 2800 Flüchtlinge (lt. Prognose der Verwaltung, Anlage 1) zu finden, ist also das geringere Problem. Ich zitiere aus dem “Sozialentwicklungsplan” der Stadt Aachen, Seite 5:

Ziele zur Sozialentwicklung der Stadt Aachen
[…]
4. Zielgerichtet bezahlbaren Wohnraum schaffen
In Übereinstimmung mit dem Handlungskonzept Wohnen werden die folgenden Ziele formuliert:

  1. Zielgerichtete Schaffung und Förderung von Wohnraum für kinderreiche Familien, Alleinerziehende, Studierende mit Kindern sowie barrierefreie Wohnungen für Senioren und Menschen mit Behinderungen.
  2. Schaffung neuer Sozialbindungen im Wohnungsbau durch Nutzung aller Elemente der sozialen Wohnraumförderung des Landes NRW und der eigenen Steuerungsmöglichkeiten der Stadt.
  3. Einführung eines strategischen Quartiersmanagements unter Einbeziehung aller Beteiligten in den Stadtvierteln mit besonderen Herausforderungen.
  4. Schaffung eines Netzwerkes zur Bekämpfung der Wohnungslosigkeit unter Einschluss der Wohlfahrtsverbände.
  5. Verstärkte Förderung neuer Wohnformen wie z.B. Gruppenbaumaßnahmen, Wohnen von Alt und Jung oder Wohngemeinschaften von älteren Menschen.

Wir müssten dort jetzt noch das Thema “Wohnraum für Flüchtlinge” einflechten (die auch sonst nirgends im Sozialentwicklungsplan auftauchen) und das entsprechend mit Hochdruck umsetzen.
Dann bräuchte es auch keine Container. Oder Sporthallen mit Feldbetten.

Ausblick

Die Container kommen also. Ich habe meine Zweifel, dass es bei den 160 bleibt und dass nach drei Jahren die Dinger wieder wegkommen, weil dann genügend Wohnraum vorhanden ist. Eher befürchte ich, dass Anfang 2016 die Anschaffung weiterer Container auf der Tagesordnung steht.
Und es wird sich zeigen, mit welchem Hochdruck die Stadt den Bau von gerüttelt 10.000 Wohnungen (davon bis zu 40% gefördert) angehen wird.